31 Aug 2020  |  Gesa Grimme

Provenienzforschung als Forschungsgegenstand

Provenienzforschung zu anthropologischen, ethnografischen und naturkundlichen Sammlungen aus kolonialen Kontexten liegt im Trend. Zahlreiche Projekte hierzu wurden in den vergangenen Jahren an Museen und Universitäten ins Leben gerufen. 14 neue Forschungs­vorhaben wurden allein durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, seit 2019 die zentrale Fördereinrichtung in dem Bereich, bewilligt. Mit diesem sich gerade erst etablierenden Forschungsfeld will ich mich in meinem Promotionsvorhaben "Doing provenance research: Auf dem Weg zur Dekolonialisierung musealer Strukturen? — Eine ethnografische Analyse von Wissenschaftler*innen, Institutionen und postkolonialen Kontexten" befassen.

Das wachsende Interesse an der Provenienzforschung zu Sammlungen und Objekten aus kolonialen Kontexten steht im engen Zusammenhang mit der Debatte um die kolonialen Hintergründe ethnografischer Museen und deren Rolle in einer postkolonialen Gegenwart. Den Kristallisationspunkt der Debatte bildete jahrelang das in Berlin entstehende Humboldt Forum. 2017 erreichte die Diskussion letztlich auch das Feuilleton deutscher Tages- und Wochenzeitungen, aus dem sie heute nicht mehr wegzudenken ist. Die anhaltende Präsenz des Themas, zusammen mit den sich hinziehenden Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia über eine Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama, rückte schließlich die deutsche Kolonialgeschichte und die Frage nach einen angemessenen Umgang mit ihr in den Blick der Tagespolitik. Die Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften des europäischen Kolonialismus in Museen und Sammlungen wurde zu einem politischen Anliegen. Seitdem sehen Vertreter*innen der Politik wie auch Museums­verantwortliche in der Provenienzforschung zu Objekten aus kolonialen Kontexten eine wesentliche Möglichkeit, sich mit dem Erbe des Kolonialismus zu befassen.

Die Debatte um die kolonialen Hintergründe ethno­grafischer Museen, die zunehmende Bedeutung von Fragen der Provenienz und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Museumsarbeit konnte ich als Ethnologin und Historikerin, die seit 2010 im Museumsbereich tätig ist, aus nächster Nähe verfolgen: Zwischen 2013 und 2015 absolvierte ich mein wissenschaftliches Volontariat am Museum für Völkerkunde Hamburg, dem heutigen MARKK – Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt, und war dort anschließend wissenschaftliche Mitarbeiterin, unter anderem im Projekt „Kolonialismus und Museum“. Von Oktober 2016 bis März 2018 erarbeitete ich am Linden-Museum Stuttgart im Projekt „Schwieriges Erbe: Zum Umgang mit kolonialzeitlichen Objekten in ethnologischen Museen“ einen Ansatz zur systematischen Provenienz­forschung zu Objekten aus kolonialen Kontexten. Seit Projektende bin ich freiberuflich in der Provenienzforschung tätig.

blog 1Abschlussdiskussion der Konferenz „Schwieriges Erbe. Koloniale Objekte – Postkoloniales Wissen“ (2017). V. l. n. r.: Ekarika Nana Obot (Advisory Board for the Representation of African Culture, ABRAC), Sandra Ferracuti (Linden-Museum), Wayne Modest (Research Center for Material Culture, Leiden), Ciraj Rassool (University of the Western Cape) und Djenneba Aniema Obot (ebenfalls ABRAC). Foto: Gesa Grimme.

Während dieser Zeit intensivierte sich mein Interesse an der Auseinandersetzung mit der Kolonialität ethnografischer Museen und Sammlungen. Es kamen aber auch Fragen hinzu, die stärker auf eine Reflexion der alltäglichen wissenschaftlichen Praktiken im Museum zielten: Mit welchem Verständnis von Wissenschaft operieren meine Kolleg*innen und ich eigentlich? Auf welchen Kulturbegriff beziehen wir uns überhaupt? Welche Bedeutung haben ethnologische Theorien in der Museumspraxis? Und in welcher Beziehung stehen universitäre Ethnologie und die im Museum praktizierte Ethnologie? Im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit als Provenienz­forscherin begannen sich meine Fragen vermehrt auf das Feld der Provenienz­forschung zu Objekten aus kolonialen Kontexten konzentrieren. Ich begann mich zu fragen, welche Faktoren die Forschungspraxis in den verschiedenen Projekten beeinflussen: Welche Bedeutung bei der Durchführung von Provenienzforschung haben institutionelle Strukturen, wissenschaftliche Konventionen und gesellschaftliche Erwartungen? Welche Handlungsmöglichkeiten bestehen für die in diesen Zusammenhängen zum Teil sehr unterschiedlich positionierten Akteur*innen?

Diesen Fragen will ich in meinem Forschungsvorhaben nachgehen. Im Unterschied zur öffentlichen Debatte, die besonders Äußerungen von Museumsdirektor*innen und Professor*innen in den Vordergrund stellt und oftmals den Forschungsalltag ausblendet, möchte ich von den Erfahrungen jener Personen ausgehen, die an Museen und Universitäten tatsächlich Forschung zu kolonialen Beschaffungskontexten durchführen. Sie bilden für meine Studie den entry point in die wissenschaftliche Praxis der Provenienzforschung zu Objekten aus kolonialen Kontexten. Mit der Beleuchtung der sich hier vollziehenden Prozesse der Wissensproduktion und deren gesellschaftlichen Verankerung will ich eine Grundlage für ein besseres Verständnis des Forschungsfelds und dessen Beitrag zur Auseinandersetzung mit den kolonialen Hintergründen ethnografischer Museen schaffen. Aufdeckt werden soll mit der Arbeit letztlich, worin das Dekolonialisierungspotential dieser Forschung bestehen kann und welche Rahmenbedingungen für dessen Aktivierung notwendig sind.