30 Jun 2020  |  Ira Eue

Vernetzt, verstrickt, verwoben: Anziehendes aus dem südlichen Abya Yala

Ein studentisches Ausstellungsprojekt

Kleider machen Leute: Sie zeigen und verhüllen den menschlichen Körper, schützen vor den Kräften der Umwelt und drücken sowohl Kreativität als auch Identität aus. Im Rahmen einer neuen Ausstellung im Museum Fünf Kontinente lässt sich ebenjene Vielfalt in indigenen Gesellschaften Mittel- und Südamerikas nachvollziehen, mit Streifzügen durch Regionen wie die panamaische Karibikküste, das Andenhochland und die Regenwälder Brasiliens. Vernetzt, verstrickt, verwoben ist ein studentisches Ausstellungsprojekt in Kooperation mit dem Institut für Ethnologie der LMU München, an dem ich als Ethnologie-Studentin mitwirke. Im Rahmen des Seminars „Textile Informationsträger und lateinamerikanische Lebenswelten“ unter der Leitung von Dr. Anka Krämer de Huerta (LMU, Museum Fünf Kontinente) erstellen wir im achtköpfigen studentischen Team das Ausstellungskonzept – Auswahl, Darstellung und Anordnung der Textilien – sowie die Inhalte der Ausstellungstexte und des neuen Ausstellungsraums in Zusammenarbeit mit dem Museum. Ab Ende Juli 2020 wird das Ergebnis zu sehen sein.

preparation webMarie-Theres Wandinger (links) und Katharina Kröner (rechts) beim Vermessen einer der insgesamt vier Vitrinen im neuen Ausstellungsraum. Foto: Marie-Theres Wandinger, 2020.Im März ist uns durch die Covid-19-Pandemie ein Stein in den Weg gelegt worden. Trotz der vorübergehenden Schließung des Museums haben wir hinter den Kulissen weiter an der Ausstellung gearbeitet. Gespräche mit den Restauratorinnen und der Grafikerin, das Ausprobieren und Arrangement der Objekte in den Vitrinen und viele weitere Arbeitsschritte, die auf persönlichem Kontakt beruhen, sind dabei leider nur eingeschränkt möglich.

Auch die Kollaboration mit den Urhebergemeinschaften, die von Beginn an einen wichtigen Bestandteil unseres Ausstellungsprojekts bildete, wird durch die Pandemie erschwert. Doch dank meiner Kommilitonin Linda Nowottny kann der Kontakt zu den Guna in Panama zumindest virtuell stattfinden: Ignacio Crespo Evans und Gladis Arosemena Caicedo de Crespo haben uns durchgehend über Whatsapp beraten. Unsere Enttäuschung war dementsprechend groß, als wir sie aus aktuellem Anlass nicht zur Eröffnung und zu den gemeinsamen Vorträgen und Workshops einladen konnten. Sobald es die Situation zulässt, werden wir das nachholen. Dort, wo kein direkter Kontakt zu den Herkunftsgesellschaften möglich war, wurden Ethnolog:innen befragt, die die entsprechende Region erforscht haben.

Das Museum schrieb zu dieser herausfordernden Situation auf seiner Facebook-Seite: „Wie soll ein Praxisseminar ohne Praxis weiterlaufen? Sie geben nicht auf! Von Zuhause aus wird kräftig weitergearbeitet und mit allen möglichen Mitteln kommuniziert und diskutiert, sodass der von ihnen neu gestaltete Ausstellungsraum mit Textilien aus verschiedenen Regionen Lateinamerikas pünktlich im Juli eröffnet werden kann.“ 

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Bekleidung und Schmuck aus verschiedenen Zeiten und Regionen Lateinamerikas zeigen in diesem Ausstellungsraum die Ästhetik und künstlerische Bandbreite indigener Kreativität. Gleichzeitig stellen sie Wege vor, die Herausforderungen der Umwelt und des Zusammenlebens zu meistern. Kleidung kann vor Kälte oder Hitze schützen, verhüllen oder Blicke anziehen, sie kann abgrenzen oder einschließen und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zeigen. Sie kann Weltbilder, Machtverhältnisse oder wirtschaftliche Situationen spiegeln, geschichtliche Entwicklungen und Aushandlungsprozesse sichtbar machen, sie kann sich wandeln und zugleich Kontinuitäten transportieren.

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Itutarü-Maskengewand (Río Vaupés, Kolumbien), das in den 1970er Jahren hergestellt wurde. Foto: © MFK, Nicolai Kästner 2021.
Die textilen Traditionen Lateinamerikas reichen lange vor die europäische Invasion zurück und sind eng mit der wechselvollen Geschichte und lebendigen Gegenwart verwoben. Eine kleine Auswahl präkolumbischer Webarbeiten lässt deren einstmalige Bedeutung erahnen. Für die Verbindung einheimischer mit kolonial-europäischen Moden, zuweilen mit ironischem Unterton, stehen Kreationen aus den Anden Boliviens und Perus. Farbenprächtiger Körperschmuck der Mebêngôkre (Kayapó) aus Brasilien führt die unterschiedlichen Maßstäbe adäquater Bekleidung vor Augen. Von der Projektion religiöser Vorstellungswelten auf tragbare Verhüllungen zeugen Textilien der Shipibo aus Peru ebenso wie Maskengewänder der Karihona Kolumbiens. Kleidung der Maya Guatemalas und der Guna Panamas stehen für die Visualisierung sich wandelnder Identitäten durch gewebte und gestickte Muster. Vom fortwährenden Widerstand seit den Zeiten inkaischer Expansion über die Kolonialzeit bis heute erzählen Kleidung und Schmuck der Mapuche.

Oft setzen indigene Denker:innen und Aktivist:innen dem als eurozentrisch kritisierten Begriff Amerika die Bezeichnung Abya Yala, „Land in voller Blüte“, aus der Sprache der Guna im heutigen Panama entgegen. Abya Yala steht programmatisch für den Kampf um Selbstbestimmung und Menschenrechte und für die vielfältigen Antworten indigener Gemeinschaften auf den Zugriff globaler Märkte auf ihre Lebenswelten und Ressourcen. Heute allerdings sind bereits errungene Rechte erneut in Gefahr und der zunehmende Druck auf indigene Gemeinschaften erreicht einmal mehr existenzbedrohende Ausmaße.

Die Ausstellung will Akzente setzen, die einen Einblick in die Vielfalt des Sich-Anziehens und damit verwobener Themenfelder geben. Als studentische Gastkurator:innen nehmen wir dabei historische und aktuelle Entwicklungen sowie das Sammeln selbst in den Blick.

Weitere Einblicke in die Projektentwicklung geben dieser Artikel auf der LMU-Website sowie die Synopsis des Projekts auf der Institutshomepage.